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redaktion / 19.07.2016

Adstringenz

Gerbsäure trifft auf Protein

Schule des Geschmacks Teil 15

In den vorangegangenen Kapiteln haben wir uns intensiv mit den Grundgeschmacksrichtungen beschäftigt – diese sind rekapitulierend „süß“, „sauer“, „bitter“, „salzig“, „umami“ (mit der Sonderform „kokumi“), „fett“ und „wässrig“. Dazu kommt die Schärfe, die streng wissenschaftlich gesehen keine eigentliche Geschmacksqualität ist, sondern ein Schmerzempfinden, das durch die Reizung der sogenannten Trigeminusnerven hervorgerufen wird.

Von Gerd Wolfgang Sievers

Diese im gesamten menschlichen Körper verteilten Nerven sind für das Schmerzempfinden zuständig, aber auch für das Gefühl von Hitze und Kälte. Auch für das Thema dieser Ausgabe – nämlich die Adstringenz – sind die Trigeminusnervenenden verantwortlich.

Adstringierend = zusammenziehend

Was ist nun besagte Adstringenz überhaupt? Es handelt sich hierbei – wie bei der Schärfe – nicht um eine eigene Geschmacksqualität, sondern um dieses sonderbare Wahrnehmungsgefühl im Mund, das wir umgangssprachlich gerne als pelzig oder rau beschreiben. Es ist das zusammenziehende Gefühl auf der Zunge, das wir z. B. beim Genuss von gerbstoffreichem Rotwein (insbesondere in der Verbindung mit Hartkäse wie Grana Padano oder Parmigiano Reggiano), bei Schokolade mit hohem Kakaoanteil und starker Röstung, beim Kauen von Walnüssen oder auch beim Trinken von Grüntee (Matcha) sowie bei vielen anderen Lebensmitteln, Kräutern, Gewürzen usw. verspüren. Besonders leicht lässt sich dieser physikalische Effekt für das adstringierende Gefühl am Beispiel von Rotwein und Parmigiano erklären: Im Grunde geht es dabei um die Wirkung der Gerbstoffe auf die Proteine, die in unserem Speichel gelöst sind.

 

Die im Speichel enthaltenen Proteine sorgen für die Viskosität, sodass wir unseren Speichel als eine angenehme, die Schleimhäute benetzende Flüssigkeit wahrnehmen. Im Normalfall sind die Proteine als Einzelmoleküle fein im Speichel verteilt. Wenn nun aber mit der Nahrung oder Getränken Gerbstoffe aufgenommen und im Speichel gelöst werden, sorgen sie dafür, dass sich viele Proteine zu größeren Ansammlungen verbinden. Das wiederum führt zum veränderten Fließverhalten des Speichels, was wir mittels des Trigeminus deutlich wahrnehmen können. 

 

Dieser Effekt lässt sich noch dadurch verstärken, dass man proteinreiche Nahrung, wie zum Beispiel Parmigiano (der zudem noch viel „umami“, also den speziellen Geschmack des Proteins, mit sich bringt), dazu isst. Dieses Zusammenspiel ist für unseren Gaumen derart spannend, dass gerade die Kombination von Rotwein mit viel Tannin (Gerbstoffe des Rotweins) und Parmigiano als kulinarisches „Dreamteam“ bezeichnet wird. Wem das nicht genug ist, der nimmt noch ein paar Walnüsse dazu, das verstärkt nicht nur den adstringierenden Effekt, sondern sorgt auch noch für einen zusätzlichen knackenden Texturen-Effekt, weil man die Nüsse kauen/beißen muss.

 

Nahrungsmittel, die adstringierend wirken

Das Empfinden der Adstringenz kann durch verschiedene Faktoren und Substanzen hervorgerufen werden. Am häufigsten erleben wird das Geschmacksgefühl durch das sogenannte Quercetin, das in vielen Früchten (Äpfeln, Kirschen, Zitrusfrüchten, BrombeerenHeidelbeeren und vor allem in Johannisbeeren) vorkommt, aber auch in Gemüse (zum Beispiel Zuckerhut, grüne Bohnen, Brokkoli, Grünkohl), zahlreichen Gewürzen und Kräutern (Zwiebel, Schnittlauch, Liebstöckel, Kapern) und in Weinen.

 

Letztlich lässt sich der Effekt – wie bereits erwähnt – auch sehr gut mit gehackten Walnüssen erzielen. Sehr deutlich spürbar ist der Effekt bei Kaffee und grünem Tee, weil diese reich an der sogenannten Gallussäure sind. In schwarzem Tee ist diese übrigens weit weniger enthalten. Aus diesem Grund werden viele Desserts mit Kaffee aromatisiert, denn sie erhalten durch den adstringierenden Effekt des Kaffees erst ihre ganz besondere Note.

 

So würde beispielsweise das berühmte Tiramisu ohne diesen Effekt recht flach und fad schmecken. Apropos Tiramisu: Oftmals wird das adstringierende Gefühl, das hier vom Kaffee verursacht wird, als „bitter“ beschrieben. Das liegt daran, dass sich die Geschmacksqualität „bitter“ und der Effekt des „Adstringierens“ oftmals überlagern können. Tatsächlich ist aber nur „bitter“ ein Geschmack, während der Effekt des Adstringierens nicht durch die Papillen auf der Zunge wahrgenommen wird und somit keine echte Geschmacksqualität darstellt.

 

Verstärkung des Effekts

Der adstringierende Effekt kann in der Küche ganz leicht durch das Zusammenspiel verschiedener Lebensmittel, Gewürze, Getränke etc. erzielt werden. So ist z. B. Grünkohl mit Mettwurst ein Klassiker, Zitrusfrüchte machen das kulinarische Leben erst interessant, ein Stück dunkle Schokolade verfeinert die Rotweinsauce zu Wild oder Sauerbraten, ein paar Nüsse veredeln das Rotkraut und machen Geflügelbraten zur Delikatesse, Liebstöckel ist das Suppengewürz schlechthin und gibt Kasnudeln den richtigen Kick, Zwiebeln sind in der Küche generell unersetzlich und Kapern machen (zusammen mit wunderbaren Anchovis) aus einer langweiligen Thunfischsauce das berühmte Vitello tonnato! Und immer geht es dabei – ohne dass wir eigentlich so richtig wissen warum – vor allem um den Effekt der Adstringenz, der unserem Trigeminus so richtig gut „auf die Nerven geht“. Dieser Wundernerv ist – neben scharf und adstringierend –, wie eingangs schon kurz erwähnt, auch für das Empfinden von Hitze und Kälte verantwortlich, was eines der nächsten Themen dieser Geschmacks-Kolumne sein wird.

 

Rezept: Spaghetti mit Nüssen

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